AfD, Syrienkrieg und Poesie: "Sommer unter schwarzen Flügeln"
08:00Hallo meine lieben Leser,
am Sonntag hatten wir die Wahl. Es war Bundestagswahl - für mich die erste, bei der ich endlich mitbestimmen durfte!
Was war das für ein tolles Gefühl, als ich meine zwei Kreuze machen durfte. Ja, durfte!
Denn auch wenn es uns wie selbstverständlich vorkommt, ist es ein absolutes Privileg wählen zu dürfen. Dass wir dankbar sein sollten in einer Demokratie leben zu dürfen, zeigt bereits ein Blick in die Geschichte - oder in andere Länder.
Nur in 90 Staaten dieser Erde (das sind 46%) gibt es freie Wahlen.
Ich bin immer noch ziemlich fassungslos, dass die AfD tatsächlich von 12,6% der Deutschen gewählt wurde. 12,6% wählten eine Partei, die offen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auslebt.
Meine Ohnmacht, Wut und Zukunftsangst möchte ich jetzt gar nicht weiter ausführen. Stattdessen möchte ich euch ein Buch ans Herz legen, das (leider) thematisch sehr aktuell ist - und meiner Meinung nach von jedem gelesen werden sollte!
Ein Roman, der unter die Haut geht, aufwühlt und vor nichts die Augen verschließt, auch wenn es wehtut.
Entgegen aller Konventionen verlieben sich der Neonazi Calvin und die syrische Asylbewerberin Nuri ineinander. Was zunächst sehr konstruiert wirkt, entpuppt sich schnell als fesselnde Geschichte über ein brandaktuelles Thema.
Weshalb sollte "Sommer unter schwarzen Flügeln" Schullektüre werden?
Jedes Kapitel wird anhand von zwei provokanten, gegensätzlichen Zitaten eingeleitet - eins aus dem rechten Lager und eins, das sich für Flüchtlinge einsetzt.
Zusätzlich finden sich am Ende jedes Kapitels Vorschläge für Internetrecherchen, z.B. über rechte Gruppierungen oder den Syrienkrieg. "Sommer unter schwarzen Flügeln" ist keine typische Geschichte - es ist ein Roman, der beim Lesen (ungewollt) weiterbildet.
Meiner Meinung nach müsste der Roman - der absolut zu Recht letztes Jahr den Jugendliteraturpreis erhielt - in Deutschland Pflichtschullektüre werden!
Der ehemalige Sozialpädagoge Martin beweist nicht nur, dass er hervorragend recherchiert hat - er verdeutlicht mit Nuris Geschichte wie verworren der Syrienkrieg ist. Es ist nicht mehr möglich, zwischen "Gut" und "Böse" zu unterscheiden.
Taucht ein in ein malerisches, buntes Syrien!
Immer abwechselnd erzählen die beiden Protagonisten Nuri und Calvin ihre Geschichte. In die Romanhandlung eingewoben, sind immer wieder Rückblicke, in denen Nuri Calvin von ihrer Heimat Syrien erzählt.
"Frag keinen nach der Wahrheit, Nura", sagte er. "Mach die Augen auf."
Allein diese Passagen über Syrien könnten ein ganzes Buch füllen. Das Syrien vor dem Krieg wird als malerisches Land voller intensiver Gerüche und Farben beschrieben, sodass man sofort vom Fernweh gepackt wird.
Je weiter die Romanhandlung fortschreitet, desto düsterer werden Nuris Erzählungen über ihre Heimat: Die Schatten der schwarzen Flügel legen sich über das ehemals kulturreiche Syrien.
Was macht dieses Buch mit dem Leser?
Einige dieser Rückblicke sind definitiv nichts für zart besaitete Leser. Nicht umsonst empfiehlt der Verlag das Buch erst ab 16 Jahren.
Der Autor beschreibt Folterszenen so detailliert, dass diese Passagen mich als Leserin körperlich und psychisch mitnahmen.
Diese Ungerechtigkeiten, das Leid, das Menschen in Syrien Tag für Tag erfahren müssen, haben mich wahnsinnig wütend und traurig gemacht.
"Niemand ist tapfer abseits der Kinoleinwand."
"Sommer unter schwarzen Flügeln" konnte ich nicht am Stück lesen. Als Leser braucht man Zeit um die beschriebenen Grausamkeiten und die vielen Informationen zu verarbeiten. Aber auch um die Schönheit der syrischen Kultur in sich aufzunehmen, gedanklich durch die einst lebendigen, wunderschönen Straßen Damaskus' zu streifen.
Der Täter von nebenan - fast 1.000 Anschläge auf Flüchtlingsheime im Jahr 2016
Aber genauso sehr haben mich die Probleme der Flüchtlinge, die in dem "Paradies Deutschland" ankommen, mitgenommen.
Ich schätze niemand von uns kann sich vorstellen, wie es ist fliehen zu müssen, täglich mit dem Thema Tod konfrontiert zu werden und seine Heimat zu verlassen. Mit diesem Trauma im Gepäck müssen sich Asylbewerber in einer - ihnen völlig fremden - Kultur zurechtfinden und eine neue Sprache lernen.
Es ist so bitter, dass sich diese geflüchteten Menschen nicht einmal in Deutschland sicher fühlen können, wenn ihnen von Seiten der rechten Gruppierungen (Pegida, AfD & Co.) so viel Hass entgegenschlägt. 2016 wurden fast 1.000 Anschläge auf Flüchtlingsheime verübt.
Eintausend Mal Neid, Fremdenfeindlichkeit und offene Hetze - Mordversuche.
"In Europa sind die Leute einsam wie Planeten."
Nach der Lektüre dieses Romans saß ich weinend da und habe ich mich sehr lange hilflos, machtlos gefühlt.
Traurigerweise ist der Roman bereits 2015 erschienen und immer noch brandaktuell - bisher sind Hunderttausende Menschen in dem sechsjährigen Bürgerkrieg getötet worden.
So oft sieht man furchtbare Bilder aus Syrien im Fernsehen, aber wir alle haben unterbewusst einen inneren Schutzwall aufgebaut. Einen Schutzwall, um Leid nicht zu nahe an uns heranzulassen. Viel zu oft perlen schreckliche Nachrichten einfach an uns ab.
Aber dieses Buch rüttelt auf, es geht dahin, wo es wehtut - und hallt dort lange nach.
"Helden sind Mörder."
Hut ab für Peer Martin, dass es ihm gelingt, die Motivation für solche unbeschreiblichen Taten zu erklären. Der Leser wird mitten in die Perspektivlosigkeit Jugendlicher in sozialen Brennpunkten gerissen, die Trost in nationalsozialistischem Gedankengut suchen.
Mithilfe von Calvin taucht der Leser in einen Protagonisten ein, der anfangs absolut abstoßende Gedanken hat. Besonders gut gefallen hat mir, dass der Autor sich Zeit mit Calvins Charakterentwicklung lässt und sich nicht sofort eine Romeo-und-Julia-Romanze entwickelt und aus dem Neonazi ein friedliches Lämmlein wird.
Sprachlich erschafft Peer Martin großartige Bilder und nimmt den Leser mit auf eine Reise in eine (leider sehr) realitätsnahe Welt, die von Leid - aber auch Schönheit - geprägt ist.
Ab und zu gleitet der Stil etwas zu sehr ins Pathethische ab, aber insgesamt schreibt der Autor brillant! Voller Poesie, bildgewaltig und fesselnd - definitiv für Fans von "Der Märchenerzähler" von Antonia Michaelis geeignet!
Ich möchte dem Autor hiermit für dieses unfassbar wichtige und starke Buch danken!
In Zeiten von AfD, Pegida und dem blutigen Krieg in Syrien setzt dieser preisgekrönte Debütroman ein Zeichen - ein kraftvolles Plädoyer gegen Rassismus!
Mit der Lektüre von "Sommer unter schwarzen Flügeln" bildet euch nicht nur weiter, dieses Buch beinhaltet auch so viel Poesie, Schönheit und Liebe - und das macht trotz allem Hoffnung.
3 Kommentare
Ich habe das Buch noch nicht selbst gelesen, aber sehr viel davon gehört. Deine Rezension macht mich nun noch neugieriger. Danke für den interessanten Post! <3
AntwortenLöschenEs freut mich sehr, dass ich Dich neugierig machen konnte. Das Buch verdient es so, gelesen zu werden! :)
LöschenSehr gerne - danke dir für dein liebes Feedback, Cora! <3
Liebe Hannah,
AntwortenLöschenjetzt musste ich hier mir deine Rezi doch auch gleich noch durchlesen. Und du hast es richtig gut auf den Punkt gebracht. Man merkt beim Lesen total, wie sehr dich das Buch mitgenommen hat. Auch ich saß am Ende des Buch heulend da. So aufgewühlt, hat mich noch nie ein Buch, und das muss schon was heißen. Ich war fassungslos, wütend und es hat mir echt das Herz zerrissen. Ein Ende, worüber ich mir noch Wochen danach Gedanken gemacht habe.
Den Werdegang von Calvin fand ich ganz besonders interessant. Wie du es so schön beschreibst, er ändert sich nicht von einem Tag auf den anderen. Und das hat der Autor wahnsinnig gut dargestellt.
Diese gute Recherche merkt man beim Lesen immer wieder und ich habe gespürt, dass es nicht reine Fiktion war - was man ja anhand der Links und der Zitate erkennt - sondern Realität und das ist so erschreckend.
Ich sehe es ganz genauso wie du: Es ist ein Buch, was gelesen werden sollte. Es rüttelt wach und vor allem regt es zum Nachdenken an.
Danke für deine schöne Rezension :)
Liebe Grüße,
Caterina
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