{Literatursommer} Eine Handvoll Staub*

15:00

Eine begeisterte Zuhörerin in Bodelshausen – © Baden-Württemberg Stiftung

Hallo meine lieben Buchliebhaber*innen,

in meinem letzten Literatursommer-Artikel berichtete ich von der Veranstaltung "Das Bodenpersonal in literarischer Mission", die sich um Lea-Lina Oppermanns "Was wir dachten, was wir taten" drehte.


Jugendliteratur kritisch unter die Lupe genommen


Im Anschluss an die Veranstaltung interviewte ich die junge, preisgekrönte Jugendbuchautorin. Das Gespräch rund um Schreibtipps, Amokalarm im Klassenzimmer und geplante Schreibprojekte könnt Ihr hier nachlesen.


© Baden-Württemberg Stiftung

Bis Ende Oktober: Buchige Veranstaltungen in Baden-Württemberg


Für alle Neueinsteiger: Der Literatursommer ist eine Veranstaltungsreihe,  die alle zwei Jahre in ganz Baden-Württemberg stattfindet und von der Baden-Württemberg Stiftung auf die Beine gestellt wird.
Von Lesungen über Diskussionsreihen bis hin zu Poetry Slam und Theater – hier ist für jeden (Lese-)geschmack, jedes Genre und jede Generation etwas dabei!

Noch bis Ende Oktober gibt es kunterbunte Veranstaltungen in Baden-Württemberg zu entdecken! Meine Veranstaltungshighlights findet Ihr hier.

© Baden-Württemberg Stiftung


Dieses Jahr ist das Motto des Literatursommers "Frauen in der Literatur" – ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.

Literarische Veranstaltungsberichte live aus dem Ländle – und auf Instagram 


In Sillenbuch fand meine letzte literarische Mission für den Literatursommer statt. Nichtsdestotrotz könnt Ihr Euch die Veranstaltungen jederzeit im Nachhinein nochmals auf dem Instagramaccount der Baden-Württemberg Stiftung anschauen – da ich immer live vor Ort Stories gedreht und hochgeladen habe. In den Highlight-Stories könnt Ihr Euch nochmals die "Get Shorties auf Tour" in Marbach am Neckar, das "Romantische Quartett" im Heidelberger Schloss, "Das Bodenpersonal in literarischer Mission" in Mössingen – sowie "Eine Handvoll Staub" in Sillenbuch anschauen.


Hannah on tour – in Marbach, Heidelberg, Mössingen – und nun Sillenbuch!


Meine kleine Reise durch's Schwabenländle auf den Spuren besonderer Autoren und Geschichten ist hiermit fast vorbei... umso schöner, dass ich Euch heute noch ein absolutes Veranstaltungshighlight präsentieren darf – es geht los nach Sillenbuch!

Von Jugendliteratur in den Seniorenzirkel...


Als ich an diesem sonnigen Donnerstag den kleinen Raum im Clara-Zetkin-Haus betrete, verstummen die Gespräche für einen Moment.
Denn ich bin mit Abstand die Jüngste in der Runde. Prompt wird interessiert nachgefragt, was mich zu ihnen führe. Nachdem ich mich vorgestellt habe, bin ich für die nächsten zwei Stunden ein vollwertiges Mitglied in der netten Runde.

Ein besonderer Ort: das Clara-Zetkin-Waldheim 


Die Veranstaltung tagt an einem ganz besonderen Ort, der eine große politische Bedeutung für den Seniorenzirkel hat, der sich hier alle zwei Wochen trifft...

1909 gründeten Clara Zetkin, Friedrich Westmayer und andere beteiligte Genossen das Waldheim, um den Arbeiterschichten einen Platz zu schaffen. Einen Erholungsort, an dem sie an freien Tagen der häuslichen Armut entfliehen und sich im Kreise der Familie mit Freunden treffen konnten.

Und heute, über 100 Jahre später liegt eine besondere Atmosphäre über dem Waldheim in Sillenbuch, das von der sozialistischen Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin mitgegründet wurde: Kinder toben im Garten, Familien trinken Kaffee in der Vereinsgaststätte, Ausstellungen werden organisiert und gegenüber bietet das Sillenbucher Jugendhaus einen Rückzugsort für junge Erwachsene.

Lina Haag – Mut, Ehrlichkeit und Zivilcourage in Person


Heute referiert hier Ellen Breitling – auf die ich später noch näher eingehen möchte – über die Widerstandskämpferin Lina Haag.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ihren Namen heute das erste Mal höre. Die nächsten zwei Stunden erzählt Ellen Breitling lebendig die Lebensgeschichte von Lina Haag und liest immer wieder Textpassagen aus "Eine Handvoll Staub" vor.

© Baden-Württemberg Stiftung


Bei Kaffee und Kuchen wird rege diskutiert


Gebannt lauschen die betagten Zuhörer*innen und werfen immer wieder Fragen ein, über die munter diskutiert wird. Ich spüre schnell, dass kein steifer Vortrag gehalten wird –  man kennt sich hier. Anfangs wird noch gelacht und in breitestem Schwäbisch Anmerkungen eingeworfen. Je weiter Ellen Breitling mit ihrem Vortrag fortschreitet, desto in sich gekehrter werden die Anwesenden...

Eine Handvoll Staub: "Ein Buch, das jeder junge Mensch lesen sollte!"


"Eine Handvoll Staub" war einer der ersten Widerstandsberichte nach dem Zweiten Weltkrieg.

In Form eines Briefes hat die Kommunistin Lina Haag 1944 ihre Erinnerungen an die Zeit ab 1933 festgehalten. Das Buch ist eine Liebesgeschichte ganz eigener Art – hauptsächlich zeugt es aber vom Widerstandswillen einer Einzelnen.


Ebenso wie ihr Ehemann, der Journalist und KPD-Abgeordnete Alfred Haag, wurde Lina Haag ebenfalls jahrelang in diversen Gefängnissen und Konzentrationslagern festgehalten und gepeinigt.
Lina Haag bewies auch nach ihrer Freilassung Mut: Sie schaffte es zu Heinrich Himmler vorzudringen und vor dem Reichsführer-SS für die Freilassung ihres Mannes zu kämpfen. Mit Erfolg!
Daraufhin wurde Alfred Haag zur "Bewährung" an die Ostfront geschickt. Allerdings kehrte er erst 1948 aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager zurück.

"Warum gibt es überhaupt Kriege, Mutter?" – Lina Haag bewegt die Menschen, früher wie heute. 


Eine Schul-Pflichtlektüre für den Geschichtsunterricht?


Nach dem Vortrag und dem umfassenden Einblick in das Werk und Leben der Lina Haag stehen für mich zwei Dinge fest:

1.) Warum ist dieses Buch keine Schullektüre? Gerade in Baden-Württemberg würde sich das Buch so gut dazu eignen, um die Zeit des Nationalsozialismus jungen Erwachsenen zu veranschaulichen. Und vor allem um Zivilcourage an einem Beispiel vorzuführen!

2.) Ich möchte den Roman unbedingt selbst noch lesen.

"Die Sonne strahlt durch's Fenster und legt einen goldenen Filter über den Raum. Draußen hüpft ein kleiner Junge im quietschgelben Anorak vorbei und riecht an einer Sonnenblume. Seine Mutter lacht und zerstrubelt ihm die Haare. Drinnen herrscht nachdenkliche Stille. Ich fühle mich so, als würden wir in einer Blase sitzen – abgeschottet von der Welt. Jeder in seinen eigenen Gedanken versunken und doch alle irgendwie zusammen. Was für eine berührende Hommage an Lina Haag!"



Ellen Breitling hat der Vortrag sichtlich aufgewühlt. Wir sitzen noch ein paar Minuten da und lassen das Gesprochene auf uns wirken – dann werden Fragen gestellt.
Interessant: Die meisten der Anwesenden kannten die Widerstandskämpferin oder ihre Familie persönlich.

2007 erhielt Lina Haag den Dachau-Preis für Zivilcourage. 2012 ist sie im Alter von 105 Jahren verstorben. 



Engagement für die Gesellschaft mit über 80 Jahren: Ellen Breitling 


Bereichernd – dieses Wort trifft die Veranstaltung und deren Wert für mich persönlich wohl am besten.
Nachdem sich jede*r persönlich von Ellen Breitling verabschiedet hat, leert sich der Raum. Eigentlich will ich nur noch ein paar Fragen an die Vortragende richten, aber letztlich sitzen wir weit über eine Stunde zu dritt zusammen und reden.

Und genau diese Stunde beweist wieder einmal, wie viel unterschiedliche Generationen voneinander lernen können. Die beiden älteren Damen erzählen aus ihrem Leben, "von damals", Geschichten über meine Heimatstadt, die ich noch nie gehört habe und ich höre interessiert zu und stelle Nachfragen. Gleichzeitig interessieren sie sich für meine Zukunftspläne und schmunzeln darüber, dass sie selbst nicht einmal mehr eine E-Mail versenden können.

Viel zu selten erkennen wir, was wir der älteren Generation zu verdanken haben


Ich finde es sehr interessant, zu sehen was meine Generation – was ich persönlich – der älteren Generation zu verdanken habe. 
Als junge Frau 2018 habe ich völlig andere berufliche Möglichkeiten als beispielsweise Ellen Breitling sie 1958 hatte, als sie sich als Sekretärin anstellen ließ.

Mit über 80 Jahren engagiert sich Ellen Breitling immer noch voller Tatendrang für die Gesellschaft. So ist sie nicht nur Bezirksbeirätin der Linken in Stuttgart-Stammheim, sondern auch engagiert bei den Naturfreunden und Ansprechpartnerin der Stolperstein-Initiative.

Eine sehr inspirierende Frau voller Energie – eine Begegnung, die mich geprägt hat und für die ich sehr dankbar bin!

Eine begeisterte Zuhörerin in Bodelshausen – © Baden-Württemberg Stiftung

Was meint Ihr: Was können unterschiedliche Generationen voneinander lernen?


Und bevor ich Euch einen guten Start in die neue Woche wünsche, würde mich noch interessieren, ob Ihr schonmals von Lina Haag gehört habt? 
Oder sogar ihren Roman gelesen habt? 

Ich hoffe, Euch hat mein Bericht über Lina Haag, zeitlose Widerstandsberichte und eine ganz besondere Veranstaltung mit viel Lebenserfahrung gefallen! :-)

Startet gut in die neue Woche, viele liebe Grüße aus Stuttgart,
Eure Hannah



*Dieser Beitrag ist in liebevoller Kooperation mit der BW-Stiftung entstanden. Ich freue mich sehr, Bloggerin für die literarische Veranstaltungsreihe sein zu dürfen.

You Might Also Like

0 Kommentare

Ich freue mich über jeden Kommentar von Euch! Der Austausch mit Euch bedeutet mir viel - und macht die "Wonderworld of Books" lebendig.
Vielen Dank für Eure Worte! Anlässlich der DSVGO, vorab noch ein paar Zeilen zum Datenschutz.

Dieser Blog ist mit Blogspot, einem Googleprodukt, erstellt und wird von Google gehostet.
Es gelten die Datenschutzerklärung und Nutzungsbedingungen für Googleprodukte.

Du kannst mich bei Fragen aber auch per Mail erreichen: wonderworldofbooksfromhannah@gmail.com
Infos zum Datenschutz auf diesem Blog findest Du hier: https://wonderworld-of-books-from-hannah.blogspot.com/p/datenschutzerklarung-diese.html